04 August 2006

IN-TIEFE-MACHEN

E. M. Cioran
Vorsätzlicher Wille zur Tiefe
(1989)

Ich habe mich etwa 1930 für Heidegger wirklich interessiert, als ich Student an der Universität Bukarest war. Ich fühlte mich betroffen von »Sein und Zeit« und besonders von »Was ist Metaphysik?«. Zwei Ereignisse, eines unwichtig, das andere bedeutend, dämpften mich bald darauf in meiner Hingezogenheit. Ich hatte damals einen Aufsatz über Rodin in einem mehr oder weniger heideggerschen Stil veröffentlicht, der einen Journalisten aus der Fassung brachte. Die Heftigkeit, mit der er mich attackierte, glich einer regelrechten Abkanzelung, aus der ich eine Lehre zog: nie wieder ein solch »genialer« Versuch! Das zweite Ereignis war die Ent-deckung Simmels, dessen Klarheit mich endgültig von der philosophischen Wortvergötzung geheilt hat.

Der vorsätzliche Wille zur Tiefe, dieses In-Tiefe-Machen, führt dazu, die Sprache zu forcieren und um jeden Preis den gängigen Ausdruck zu vermeiden. Keine andere Sprache verleitet so sehr zu solchen Extremen und zu solchem Mißbrauch wie die deutsche. Unbestreitbar beruht Heideggers Genie auf seiner sprachschöpferischen Kraft. Die Geschicklichkeit, sich aus einer Sackgasse herauszuwinden, verdankt er seiner einmaligen Begabung, daß er diese Sackgasse dem Leser zu verheimlichen versteht, indem er die Sprache bis aufs letzte ausschöpft, ungewöhnliche, oft frappierende, manchmal befremdliche, um nicht zu sagen irritierende Wendungen erfindet. Nach Rivarol ist die probité, die Redlichkeit im Umgang mit der Sprache, an die Eigentümlichkeit des französischen Stilgefühls gebunden. Diese Redlichkeit oder besser Klarheit ist eine Schranke, ein Sicherheitsgitter, das es in der deutschen Sprache nicht wirklich gibt. Heidegger hätte nicht Franzose sein können, Simmel ja. Dennoch ist der eine hier in Frankreich ausgesprochen berühmt, der andere kaum bekannt. Über diese Anomalie wäre viel zu sagen. Vaugelas, der bedeutendste französische Liguist des 17. Jahrhunderts, würde nicht einmal dem König das Recht zugestanden haben, neue Wörter zu bilden. Was hätt er über einen Philosophen gesagt, der in einem Nachbarland eine Unzahl neuer Wörter schaffen sollte, und das zum Entzücken der Nachfahren Pascals. Wörter schaffen bis zur Herausforderung, bis zum Schwindeligwerden! Diese sprachliche Schöpferkraft hat etwas Beunruhigendes. Es ist beinahe wie ein Beiseiteschieben Gottes. Ein solches Unterfangen scheint mir bei einem so komplexen Denker unangebracht, ich würde es allerdings bei einem Dichter oder bei einem Irren durchaus gelten lassen.

Leider muß ich mir widersprechen. Es scheint mir klar, daß man ohne eine beträchtliche Dosis Größenwahn nichts unternehmen und sogar nicht einmal denken kann. Nur wenn man sich instinktiv als Zentrum der Welt fühlt, kann man Urteile fällen und sich wie ein Universalrichter verhalten. Lediglich ein geborener Zweifler kann anders reagieren. Unglücklicherweise ist diese Art Monster eine Seltenheit.



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